Von alter zu neuer Heimat
Wir schauen von der Anhöhe noch einmal in unsere alte Heimat hinein: auf die Äcker und Wiesen und Weiden, auf denen du dein Leben lang gearbeitet hast; auch auf die Äcker, die du und deine Väter mit Mühe aus Heideland zu fruchtbarem Boden umgewandelt haben. Es ist das Land deines Schweißes und des Schweißes unserer Väter – „dein Land“, „unser Land“.
Wir gehen noch einmal durchs Dorf, an verlassenen Häusern vorbei in dein leeres Haus. Das du nach dem großen Brand um die Jahrhundertwende mühsam erbaut hast. In dem deine Kinder geboren wurden. „Dein Haus“. Es wird bald niedergerissen sein. Die Straßen sind fast leer. Wo sind deine, meine Nachbarn? Wo sind unsere Schulkameraden? Die Trennung von den Menschen unserer Heimat schmerzt noch mehr als der Abschied von Land und Haus. Einsam sind wir sogar inmitten des Heimatdorfes.
Wir nehmen Abschied von der Kirche. Von der alten, in der wir getauft wurden, von der die Turmseite ja noch steht. Und von der neuen, die du nach dem Weltkrieg unter großen Opfern und unter persönlicher Mitarbeit hast erbauen helfen. In der wir gebetet haben an frohen Tagen, etwa an den Erstkommuniontagen deiner Kinder, wie auch an leidvollen Tagen des Verlustes, während der Priester in den schwarzen Farben der Begräbnismesse am Altare stand. Die Kirche war der Mittelpunkt deines Lebens – „deine Kirche“, „unsere Kirche“. Wir müssen sie zurücklassen.
Aber Gott geht mit um in die Fremde. Der Heiland, der in unserer Kirche unser Trost und unsere Kraft war, zieht mit uns. Wir werden ihn auch an unserem neuen Platze wiederfinden. Wie ein Kind an der Hand des Vaters, so werden wir auch in dem neuen Lande in der Geborgenheit des Heilandes und unseres Vatergottes wandeln – also nicht einsam und verlassen.
Und deine Familie begleitet dich. Die dir am nächsten stehen in Sorge und Liebe, die werden weiterhin um dich sein. Die Liebe deiner Gattin, die dankbaren Augen deiner Kinder, die Nähe deiner alten Eltern – alles das wird dir bleiben. Verlieren wir also die ganze Heimat? Nein. Das Wertvollste der Heimat nehmen wir mit auf der Fahrt in das neue Land.
Wir erobern die neue Heimat
Es fällt dir schwer, von Land und Haus dich zu trennen. Warum? Vor allem deswegen, weil du auf diesen Äckern gearbeitet, weil du in diesem Hause gewohnt hast. Wegen deiner persönlichen Beziehungen zu ihnen hängst du an diesen Dingen. Aber ebenso wie auf den alten wirst du auf den neuen Äckern arbeiten. So werden sie bald auch zu „deinen“ Äckern geworden sein. Und das neue Haus wird bald „dein Haus“ sein, in dem du dich heimisch fühlst. Mit jedem Tag, mit jedem Spatenstich „eroberst du dir deine neue Heimat“.
Die bisherige Dorfgemeinschaft verlierst du. Aber nicht ganz. Verwandte, Bekannte, Nachbarn werden auch in Zukunft sich bemühen, einigermaßen in Verbindung zu bleiben. Du kommst in eine neue Gemeinschaft von Menschen und Nachbarn, die auch gutgesinnt sind. Du selber trittst in den neuen Kreis als ein ordentlicher, zuverlässiger Mensch. Mit jedem freundlichen Wort, mit jedem Entgegenkommen, mit jeder nachbarlichen Hilfeleistung, mit jedem Dienst christlicher Bruderliebe eroberst du dir einen Platz in der neuen Gemeinde. So „eroberst du dir deine neue Heimatgemeinde“.
Dein Heim lässt du zurück. Aber ein neues richtest du dir ein. Du schmückst es mit denselben Bildern und Kreuzen und betest mit deinen Angehörigen allabendlich dieselben Gebete wie vordem. Du wirst den Priester bitten, dein neues Heim, Haus und Hof einzusegnen, und erneuerst bei der Gelegenheit die Weihe deiner Familie an das heiligste Herz Jesu oder an die Heilige Familie. So erhältst du „dein neues Heim“ und wirst dich heimisch in ihm fühlen.
Heimat von Gott und in Gott
Wer hat uns die Heimat gegeben? Gott der Herr, der gütige Vater. Er hat einen jeden von Ewigkeit her zu einer ganz bestimmten Aufgabe bestimmt – in einer ganz bestimmten Zeit – an einem ganz bestimmten Ort – in einem ganz bestimmten Kreis von Menschen. Es ist von Gott gewollt und gefügt, dass du und ich in Wahn geboren, und dass wir in dieser und jener Familie unser „Heim“ erhielten, und dass du bisher auf der Scholle Wahns arbeitetest. Ein jeder steht „an seinem Platz“, „am gottgewollten Platz“. Er fühlt sich darum „wohl“ und „geborgen“ in dem Bewusstsein, an „seinem“ Platz zu stehen. Er fühlt sich „geborgen im Willen Gottes“, geborgen in Gott. Alle Dinge aber, die „deinen Platz“ umgeben und dazu gehören wie Hof und Dorf und Landschaft und Gemeinschaft der Menschen, alle diese Dinge wer- den auch zu „deinen“ Dingen. Sie werden dir wert und lieb. Sie werden fast ein Stück deines Lebens und‘ deines Ichs. Du hängst an ihnen und sehnst dich nach ihnen, wenn du einmal vorübergehend in der Fremde bist. War es nicht so an deinem Platz in der alten Heimat? So wird es auch bald sein an deinem Platz in deiner neuen Heimat. Du wirst dich heimisch fühlen an deinem gottgewollten neuen Platz. So geht die „Heimat“ mit uns, auch wenn wir wandern müssen.
Das Kind gehört zur Mutter. Es fühlt sich geborgen an der Hand der Mutter und in den Armen der Mutter. Dort ist es an „seinem Platz“. So gehören wir ganz zu Gott. Erfüllen wir unsere gottgewollte Lebensaufgabe, dann ist das ein Hinschreiten durchs Leben an der Hand Gottes, und wir fühlen in uns eine Zufriedenheit und „Geborgenheit“ bei Gott. Die ganze glückliche „Geborgenheit“ aber kommt erst zu uns, wenn Gott uns beim letzten „Heimgang“ in seine Vaterarme schließt. Denn dort ist „unser Platz für die ganze Ewigkeit“ – unser ewiges Vaterhaus – unser ewiges Heim – unsere ewige Heimat. Irdische Heimat ist kleiner Abglanz der ewigen Heimat. In Heimatliebe offenbart sich ein Stück Himmelssehnsucht der Menschen.
Bevor wir unsere alte Heimat Wahn verlassen und auseinandergehen, beten wir ein jeder: Gott schenke uns allen dereinst die ewige Heimat!
0 Heimatliebe, Heimatlust,
du Born der Sehnsucht, unergründet,
du frommer Strahl, in jeder Brust
vom Himmel selber angezündet.