Dorfleben im Kirchenjahr
Kirche und Kirchenjahr, waren das nicht die Hauptangelpunkte, an die unsere Erlebnisse sich anschlossen? Die sich aneinander reihten zu einem feinen Lebensrhythmus von Freude und Ernst und Trauer. Die Nikolausabende brachten schon eine Vorahnung der schönen Weihnachtszeit. Auch die Abende der St. Martinswoche, an denen die Knaben wohl in entleerten Kürbissen oder anderen dicken Fruchtschalen eine Kerze anzündeten und nun das bunt leuchtende Ding im Abenddunkel durch das Dorf trugen. Aus der Weihnachtswoche blieb unter anderem auch der „Unschuldige-Kinder-Tag“ in Erinnerung. Nach dem feierlichen Gottesdienst in der Kirche versammelten wir uns in der Schule mit Priester und Lehrer. Dann wurde das Jahresergebnis unserer Mitgliedsbeiträge des „Kindheit-Jesu-Vereins“ errechnet und festgestellt, wie viele Heidenkinder dafür losgekauft werden konnten. Und nun mussten die Namen dieser Heidenkinder bestimmt werden: sie wurden durch das Los aus allen unseren Vornamen ausgewählt. Welche Freude für die, die das Los traf: einem Heidenkinde bei der heiligen Taufe den eigenen Namen geben zu dürfen!
Das Neue Jahr begann mit den schönen knusperigen „Näijaohrskauken“ und dem Gruß: „Glück sägn’s näie Jaohr!“ Wenn die Mutter in den Tagen vorher das Eisen herholte und zu backen begann, dann scharten sich alle Kleinen des Hauses um sie. Und die größeren Kinder durften sogar die noch warmen Kuchen mit rollen helfen. Am Neujahrstage selbst aber war ein feiner Wettstreit im Frühaufstehen und Neujahrswünschen. Wer nämlich als erster den Glückwunsch ausspricht: „Glück sägn’s näie Jaohr!“ der hat ein Anrecht auf Neujahrskuchen. So wurden an einem Tag des Jahres die sonst mehr zurückhaltenden Hümmlinger Kinder schnell und behende. Nach dem Mittagessen aber wanderten die Kinder mit ihrem Neujahrswunsch in viele Häuser der Verwandten, Nachbarn und Bekannten und kehrten mit Neujahrskuchen reich beladen zurück. Am Dreikönigstag wurde im Nachbardorf Sögel die „Tunschere“ ausgetragen. Sie war aber in Wahn in meiner Jugendzeit (in den ersten 15 Jahren des Jahrhunderts) nicht üblich. Einige Jahre später wurde sie wieder Gebrauch. Es wurden ein paar Weidenstöcke kunstvoll mit Papier umwickelt, vorsichtig gebogen und auf einem Brett befestigt. Ein geschmückter Tannenzweig im Hintergrund kam hinzu und die Tunschere war fertig. Ordensbruder Thomas berichtet mir Näheres: „Am Silvesterabend bei Dunkelheit wurde die Tunschere einem Bekannten oder Nachbarn still in die „Vorköke“ geschoben. Ein kräftiger Bums vor die Tür folgte, und schon machte sich der Bringer auf und versteckte sich in der Nähe. War er endlich entdeckt, so musste er mit ins Haus und wurde mit Neujahrskuchen und Butterbroten reichlich bewirtet. Ich erinnere mich, wie in den Jahren 1930 und 1931 „Hinnerk sin Oma“ uns eine Tunschere brachte, obschon sie über 70 Jahre alt war. Da wir den ganzen Abend schon auf der Lauer lagen und die Oma nicht mehr gut laufen konnte, haben wir sie schnell gefunden.“ Möge auch dieser Brauch mit in die neue Heimat der Wahner wandern! Die Fastnachtstage waren für die Wahner und Hümmlinger keine Tage ausgelassener Vergnügungen, sondern Tage des Betens im 40-stündigen Gebet, an dem sich alle beteiligten. Am Aschermittwoch holten wir uns in tiefem Ernst das Aschekreuz in der Kirche.